Schönheit und Freude
Vortrag von Horst Gunkel bei der Buddhistischen Gemeinschaft Gelnhausen am 10. Februar 2022


Vielleicht habt ihr euch gefragt, warum ich das Thema Schönheit gewählt habe. Bei meinem letzten Vortrag war das Thema Furchtlosigkeit. Beides ist meiner Stimmung im Januar entsprungen.

Ich war seit Wochen damit beschäftigt, dass unser Sangha-Team zerfällt, dass die Zukunft unserer buddhistischen Gemeinschaft ungewisser ist denn je. Als ich dann von Satyadhara über einen Messenger-Dienst die Anfrage erhielt, was mein Thema im Januar sein sollte, schaute ich auf – und mein Blick fiel auf meinen Schrein. Dort stehen viele Symbole des Buddhismus, aber eines sprang mir ins Auge, die Figur von Amoghasiddhi, der die Geste der Furchtlosigkeit zeigt – und ich wusste sofort, was mir das sagen soll. Im Hinblick auf unsere Zukunft ist Furchtlosigkeit gefragt, eine Tugend die ich üben sollte, und die ich auch meinen Freunden von der Buddhistischen Gemeinschaft Gelnhausen kommunizieren sollte. Furchtlosigkeit sei das Gebot der Stunde, denn mein Vortrag sollte eine Woche vor unserer „Krisensitzung“ am 5.2. sein. Ich habe also vor zwei Wochen über Furchtlosigkeit gesprochen, auch um uns auf diese Sitzung vorzubereiten.

Noch vor der Sitzung erreichte mich eine neue Nachricht von Satyadhara: worüber ich denn am 10.2. sprechen wollte, in der Woche nach unserer Krisensitzung, und mir war sofort klar, dass ich ein Thema wählen sollte, dass nach dieser Sitzung, die die Furcht vor der Zukunft vertreiben sollte – inzwischen möchte ich sagen: vertrieben hat – für uns wichtig ist, und ich habe mich spontan – für das Thema Schönheit entschieden. Denn Schönheit und Freude waren es, was meiner Meinung nach hier in den letzten zwei Jahren gefehlt hat. Ja, wir waren alle von dieser Corona-Situation genervt und wir haben uns davon alle ziemlich herunterziehen lassen. Wir sind missmutig geworden und so gab es in uns so etwas wie eine emotionale Spirale nach unten.

Das, was wir anstreben, was der Buddha gelehrt hat, ist aber das Gegenteil, es ist etwas, das Sangharakshita den Spiralpfad nennt, eine Spirale nach oben, eine spirituelle Spirale, die das Menschliche zu übersteigen vermag, spirituelle Evolution. Das ist etwas ungeheuer Schönes, etwas, das von piti und sukkha getragen ist. Mir war sofort klar, dass Schönheit und Freude das Thema sein muss, dass ich genau jetzt hier hereintragen muss; Schönheit und Freude ist etwas, das wir hegen und hätscheln sollten, damit die Flamme der Schönheit und das Feuer der Freude in uns wächst und erstrahlt.

Ja, es gibt dieses nervige Corona, es gibt die Klimakrise, es gibt Kriegsgefahr in Europa und auch das Gespenst der Inflation steht wieder auf. All das ist aber ebenso vergänglich wie das Schöne. Und diese Vergänglichkeit ist das Schöne an Corona und den anderen Sorgen. Ohne Vergänglichkeit wäre Leben nicht möglich, wäre Entwicklung, Fortschritt, spirituelles Wachstum nicht möglich.

Ich zitiere hierzu das Diamantsutra:

Wie einer Sommerwolke Wetterleuchten,
Wie einen Stern im ersten Morgengrau’n,
Wie einer Flamme unbeständ’gen Schein,
Wie einer Welle schnell verwehten Schaum,
Wie einen Tropfen Tau, wie eine flücht’ge Wasserblase,
Wie ein Phantom, ein Trugbild ohne Sein,
Wie eines schlafverfall’nen Geistes Traum,
So soll man alles Bedingte schau’n.

Sangharakshita kommentiert das so (Werkauswahl S. 218):

"Diese Bilder ... sollen die Flüchtigkeit aller bedingten Dinge veranschaulichen. Ein Blitz dauert nicht lange, Tautropfen trocknen rasch, eine Wolke zieht vorüber, Träume kommen und gehen. Alle diese Dinge sind flüchtig und unbeständig. Leben ebenfalls.

Doch auch etwas anderes ist bemerkenswert an diesen Vergleichen: Sie sind schön. Sie veranschaulichen zwar Unbeständigkeit, doch dabei zeigen sie auch, wie schön die Welt ist. Am Himmel treibende Wolken sind schön. In früher Morgensonne glitzernde Tautropfen sind schön. In seiner kurzen, gewaltigen Macht ist ein Blitz schön. Schön ist auch die Wasserblase im Strom, die, vielleicht wie ein Regenbogen, unzählige Lichtstrahlen reflektiert. Und so scheint dieser Vers eine doppelte Botschaft zu enthalten: Leben ist flüchtig, Leben vergeht, doch Leben ist auch schön."

Soweit Sangharakshita. Ich möchte noch ergänzen: Nur wer im Vergänglichen die Schönheit sieht und sich daran erfreut, ohne dessen Vergänglichkeit zu bedauern, ist weise. Wer auf diese Art weise ist, hat das Tor zur Non-Dualität einen Spalt weit geöffnet und mag so einen Blick auf Nirwana erhascht haben.

Manche Leute glauben, der Buddhismus sei etwas Pessimistisches, weil er von dukkha und anicca ausgeht, weil der Buddha von Leiden und Vergänglichkeit spricht. Aber was sagt der Buddha selbst dazu? Er sagt: ich lehre das Leiden und die Überwindung des Leidens.

Dukkha, das Unvollkommene, das Unangenehme, das Leidvolle ist eine Tatsache. Der Buddha verschließt die Augen nicht vor dieser Tatsache. Er sieht sie. Und er lehrt die Mittel zur Überwindung des Leidens. So wie das ein guter Arzt tut. So wie das auf unserer Krisensitzung Mokshasiddha gemacht hat, er hat unsere etwas verfahrene Situation gesehen und in uns die Kräfte geweckt, dies zu überwinden. Er hat uns gefragt, was wir vom Leben erwarten: materiellen oder spirituellen Gewinn? Und er hat uns, indem er uns fragte, was wir alle an dieser buddhistischen Gemeinschaft schätzen, klar gemacht, wie wichtig sie für uns ist. Wir können durch kleine Handlungen, die wir zu ihrem Gelingen beitragen, großen spirituellen Nutzen daraus ziehen. Das ist etwas ungeheuer Schönes. Etwas, das uns große Freude bereiten kann.

Was ist dazu nötig? Was wir brauchen ist die Grundeinstellung von metta, von liebender Güte im Umgang miteinander. Dazu ist es wichtig, dass wir einander wahrnehmen. Wirklich tief wahrnehmen, unsere Bedürfnisse sehen – unsere eigenen und die unserer Freunde. Das Wort metta kommt von mitra (Freund), das wissen wir alle, aber nur allzu oft scheinen wir es zu vergessen. Wir müssen einander als Freundinnen und Freunde sehen, und das bedeutet, dass wir der Bedürfnisse und Ängste unserer Freundinnen und Freunde Gewahr sind und diese berücksichtigen. Nur so kommen wir dazu, im metta-Modus zu arbeiten. Wir dürfen uns nicht wie eine Gruppe aufführen, die gemeinsam ein Geschäftsmodell umsetzen möchte, sondern wir müssen eine Gemeinschaft von Freundinnen und Freunden sein. Freundschaft muss gepflegt werden. Es gibt die Bezeichnung kalyana mitrata für eine spirituelle Freundschaft, mitrata heißt Freundschaft, das Adjektiv kalya heißt gesund, erfreulich, angenehm, schön. Eine schöne Freundschaft, eine angenehme Freundschaft. Eine erfreuende Freundschaft.

Diese Schönheit in menschlichen Beziehungen, die hier eine spirituelle Qualität ist, gilt es sorgsam zu pflegen und achtsam zu entwickeln. Unser Freund Kurt hat hier immer wieder darauf hingewiesen, wir sollten nicht diskutieren, denn das Wort Diskussion kommt aus dem Lateinischen und heißt wörtlich „zerschneiden“, es besteht aus der Vorsilbe „dis“ - hier: zer – und dem Verb cuttere, schneiden (wie engl. „to cut“). Kurt hat uns statt dessen aufgefordert unsere Gedanken auszu-tauschen. Manche waren von seinem Einwand genervt und sagten, dies sei Wortklauberei. Ich bin anderer Meinung. Wenn wir in unseren Gesprächen die Argumente des Anderen zerschneiden, zerpflücken, zerschlagen, dann säen wir Zwietracht – das ist nicht schön. Wenn wir aber unsere Gedanken austauschen, dann helfen wir uns gegenseitig, uns zu entwickeln.

Als ich vor 30 Jahren erstmals etwas über Buddhismus las, wenige Seiten nur in einem Buch namens „Die großen nichtchristlichen Religionen“ wurden auch die Redevorsätze angesprochen – und ich wusste sofort, dass dies richtig war, dass dies, was der Buddha da empfahl, von ungeheurer Weisheit getragen war. Und ich wusste, dass ich damals das Gegenteil von dem machte, was der Buddha empfahl. Ich redete sehr viel, ich war Oppositionsführer in zwei Regional­parlamenten, hier im Kreistag des Main-Kinzig-Kreises und in der Regionalversammlung Südhessen. Ich diskutierte dort, ich zerpflückte, zerschnitt und zerschlug die Argumente der anderen, die ich nicht als meine Freunde ansah, sondern als meine Widersacher. Und ich erkannte plötzlich, dass das dumm war.

Wenn wir die Zufluchten und Vorsätze rezitieren, sagen wir: „Mit ehrlicher und wahrhaftiger Sprache läutere ich meine Rede“. Das ist richtig, aber längst nicht genug. Denn der Buddha sagt, eine Rede, eine Äußerung sollte nicht nur ehrlich und wahrhaftig sein, sie sollte auch

  1. freundlich sein, also so, wie man mit einem guten Freund oder einer guten Freundin sprechen sollte, von metta getragen; sie sollte außerdem

  2. hilfreich sein, insofern sie für den Gesprächspartner oder die Zuhörerinnen hilfreich ist, sie also tendenziell glücklicher und/oder weiser macht, denn dann ist dies eine schöne Äußerung; unsere Rede soll außerdem

  3. harmoniefördernd sein, harmoniefördernd bedeutet hier einerseits, dass die Harmonie zwischen den Gesprächs­partnern gefördert wird, aber auch, dass die Harmonie mit Dritten gefördert wird; wenn also meine Gesprächs­partnerin sich despektierlich über eine andere Person äußert, sollte ich versuchen, ihr zu helfen, diese Person nicht einseitig zu sehen, sondern auch deren Motive zu verstehen - und

  4. sollte die Rede zur rechten Zeit sein, nämlich dann, wenn der Gesprächspartner hinreichend geöffnet ist für das, was ich kommunizieren möchte.

Wenn unsere Kommunikation also alle diese Kriterien erfüllt, dann ist es eine wirklich schöne Äußerung. Das ist zugegebenermaßen ein sehr hoher Anspruch, dem wir sicher nur selten genügen können. Umso wichtiger ist es, sich darin zu üben, sich diesem Ideal allmählich immer mehr anzunähern. Und wenn wir das tun, leben wir spirituell, wir leben vom Geist (vom Spirit) des Buddha beseelt.

Seit ich mich vor 30 Jahren infolge dieser Einsicht aus der Parteipolitik verabschiedet habe, bemühe ich mich darum.

Manch eine mag meinen, meine Bemühungen seien bislang erst von bescheidenem Erfolg gekrönt. Ja, ich bin darin alles andere als vollkommen. Aber ich bin schon ein ganzes Stück weiter gekommen und – und das ist das Wichtigste – ich bemühe mich weiter. Wobei „bemühen“ kein so ganz richtiges Wort ist, denn es bereitet nicht wirklich „Mühe“, aber es ist ein Übungsfeld. Und das Schöne am Üben ist, dass wir unsere Erfolge sehen können. Mitunter sollten wir ganz genau hinschauen, dann erkennen wir die Erfolge. Wir erkennen aber dann auch, wo wir noch unvollkommen sind. Darüber sollten wir uns dann freuen, denn wir haben es erkannt, und das bedeutet: wir sind in der Lage es zu ändern, denn wir können nur Fehler beseitigen, die wir erkannt haben.

Daher freut euch, wann immer ihr eure Fehler erkennt. Seitdem ich es mir zu eigen gemacht habe, mich zu freuen, wenn ich meine Fehler erkannt habe, habe ich wesentlich mehr Freude im Leben. Und mitunter kann ich mich sogar freuen, dass ich einige Fehler schon wesentlich seltener mache.

So schön kann das Leben sein.


Zu Meditation am Obermarkt

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