Liebe Freundinnen und Freunde,
ich mache es so, wie ich es von Sangharakshita übernommen habe, dass heißt, dass ich, sobald ich über einen Begriff spreche, zunächst im Lexikon nachschlage. Also heutzutage bei Wikipedia, dort finde ich:
Soweit Wikipedia. Die Grundlage, so steht es da, sind also Vertrauen und Sympathie. Das Wort „Vertrauen“ ist etwas, das uns aus dem Buddhismus sehr bekannt ist, es entspricht dem Sanskrit-Begriff „sraddha“, derjenige Begriff, der auf dem sog. Spiralpfad, dem Pfad zu Erleuchtung, den der Buddha aufgezeigt hat, und der in unserem Meditationsraum die Wand ziert, damit er uns immer gegenwärtig ist, an zweiter Stelle Stelle kommt, nach dukkha, also nach Elend und Stress. Vertrauen ist das, was uns aus dem Elend erlöst, aus dem Leiden herausführt, das uns den späteren Stufen näher bringt, den späteren Stufen pamojja (Freude), piti (Begeisterung, Verzückung), sukha (Glückseligkeit) und vimutti (Befreiung, Erleuchtung).
Neben „Vertrauen“ hat Wikipedia als zweites wichtiges Element „Sympathie“ aufgeführt, ein Wort, das wir vielleicht immer einmal verwenden, aber kennen wir wirklich dessen tiefere Bedeutung? Das Wort ist griechischen Ursprungs, es heißt im altgriechischen συμπάθεια (sympátheia) und das bedeutet – Mitgefühl. Mitgefühl ist im Buddhismus bekanntlich eine der vier brahma viharas, der Göttlichen Weilungen. Mitgefühl wird im Buddhismus durch zwei Bodhisattvas ausgedrückt, durch Avalokitesvara (als dessen moderne Verkörperung Sangharakshita den Triratna-Orden intendierte) und durch die Grüne Tara, die auch in unserem Meditationsraum abgebildet ist.
Und noch einen interessanten Aspekt habe ich in der Wikipedia-Definition gefunden, den Verweis auf Aristoteles. Der griechische Philosoph ist neben Sokrates der zentrale Vertreter der Achsenzeit in Europa. Als Achsenzeit gilt in der Philosophiegeschichte diejenige Zeit, in der die ersten Neuen Menschen auftraten, diejenigen Philosophen, die die Werte und Denksysteme schufen, die die Welt veränderten und bis heute entscheidend beeinflussten. Der deutsche Philosoph Karl Jaspers nennt als Vertreter der Achsenzeit in Europa Aristoteles und Sokrates, in China Konfuzius und Lao Tse und in Indien den Buddha und Mahavira.
Gehen wir zu uns nach Europa und schauen bei Aristoteles nach, was Freundschaft ausmacht. In seinem Hauptwerk der Nikomachischen Ethik nennt Aristoteles drei Motive, Freundschaften einzugehen.
Die an weitesten verbreitete ist die Freundschaft um der Lust Willen. Hierzu gehören ebenso sexuelle Beziehungen wie auch Kneipenfreundschaften oder Kegelbrüder. Als zweite, etwas verfeinerte Ebene der Freundschaft gibt es bei Aristoteles die Freundschaft um des Nutzens Willen. Hierzu gehören beispielsweise Studentenverbindungen, viele Vereine und Interessenvertetungen oder Seilschaften innerhalb einer Partei. Eine Mischform aus diesen beiden Formen, der um der Lust und der um des Nutzens Willen, sind viele Ehen oder eheähnlichen Beziehungen.
Und schließlich gibt es die Freundschaft um des Wesens Willen. Das ist die Edelste dieser Freundschaften, man ist einander nicht Freund, um daraus Lust oder einen anderen Nutzen zu ziehen, sondern, weil man das Wesen des Feundes schätzt.
Wo begegnen wir im Buddhismus Freundschaft? Nun, die bekannteste Freundschaft ist die zwischen dem Buddha und Ananda. Die beiden wanderten die letzten 25 Jahre im Leben des Buddha immer zusammen durch Indien. Ananda war sowohl der Freund als auch der Sekretär des Buddha. In dieser Freundschaft gab es also den Aspekt des wechselseitigen Nutzens. Der Buddha brauchte einen Sekretär und er brauchte Unterstützung, weil er alterte. Ananda hatte sich dazu unter der Bedingung bereit erklärt, dass er bei allen Lehrreden des Buddha dabei sein durfte und der Buddha ihm alle seine Fragen bezüglich des Dharma beantwortete. Das ist eindeutig zunächst einmal eine Freundschaft auf Basis des wechselseitigen Nutzens. Aber da war auch dieser tiefere Aspekt, der Aspekt der Freundschaft um des Wesens Willen, der sich in diesen 25 Jahren immer mehr vertiefte. Das drückt sich in zwei Episoden aus.
Einmal gingen der Buddha und Ananda die Landstraße entlang zwischen zwei Städten. Beide schwiegen. Plötzlich platzte es aus Ananda heraus: “Weißt du, Buddha, das spirituelle Leben - ich glaube es besteht zur Hälfte aus spiritueller Freundschaft.” Der Buddha aber widersprach: “Sag das nicht Ananda, das ist so nicht richtig. Es ist vielmehr so, dass spirituelle Freundschaft das ganze buddhistische Leben ausmacht.” Damit hat der Buddha deutlich gemacht, dass es nichts Wichtigeres im spirituellen Leben gibt als die Pflege der Freundschaft mit Freundinnen und Freunden, die das spirituelle Leben teilen. Der Pali-Kanon vermerkt an dieser Stelle noch, dass Ananda über die Antwort des Buddha erferut war.
Und eine zweite Episode muss hier auch noch erzählt werden, sie spielt am Tage von Buddhas Paranirwana, dem Tag, als der Buddha starb. Ananda brach in Tränen ob dieses schmerzlichen Verlustes aus, und er klagte laut. Er klagte aber nicht darüber, dass ein großer Weisheitslehrer, ein Philosoph oder ein Verkünder des Dharma verschieden war. Sondern er klagte: “Dieser Mann, der so freundich zu mir war, ist tot.” Das zeigt, was für Ananda das Wichtigste war. Es war nicht, dass der Religionsstifter, eine Heiliger, ein Menschheitslehrer gestorben war, sondern ein Freund.
Diese beiden Episoden sind mir so deutlich im Gedächtnis, weil Sangharakshita sie häufig erzählte. Und das ist auch der Grund, warum “Triratna” unter dem Namen “FREUNDE des Westlichen Buddhistischen Ordens” gegründet wurde. Und das ist auch der Grund, warum diejenigen, die sich bei Triratna längere Zeit mit dem Dharma beschäftigen “Mitra”, Freund oder Freundin, genannt werden.
Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass es notwendig ist, immer einmal wieder daran zu erinnern, dass wir nur dann Teil einer buddhistischen Gemeinschaft sind, wenn wir einander als Freundinnen und Freunde sehen – und auch so handeln.
Das Wort “Mitra”, Freund(in), sollte nicht eine Bezeichnung für jemanden sein, der bei Triratna eine besondere Anerkennung bekommen hat, wir sollten alle Freunde und Freundinnen miteinander sein und uns so verhalten, Freunde um des Wesens Willen, wie es Aristoteles in der Nikomachischen Ethik schreibt, ja, und auch Freunde um des gegenseitigen spirituellen Nutzens Willen.
Wir üben hier immer die “metta bhvana”. Bhavana heißt: die Bedingungen schaffen, dass etwas entsteht, man kann auch sagen: dass man etwas kultiviert. Das Wort metta ist von mitra abgeleitet, es heißt wörtlich: Freundlichkeit oder Freundschaft. Unser Ziel ist es, Freundlichkeit gegenüber allen fühlenden Wesen zu entwickeln. In dem Moment, wo das zwei oder mehr Personen wechselseitig tun und das auch vertiefen wollen, wird aus Freundlichkeit Freundschaft.
Und wenn das, was wir “Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen” oder “Meditation am Obermarkt” nennen, erfolgreich sein soll, dann muss es etwas anderes sein als “nur” ein Ort zum Meditieren, wie es in der Bezeichnung “Meditation am Obermarkt” anklingt, und es muss auch etwas anderes sein als eine Gemeinschaft, die sich in Gelnhausen mit dem Obkjekt Buddhismus beschäftigt, wie man beim Begriff “Buddhistische Gemeinschaft Gelnhausen” unterstellen könnte, sondern es muss ein Freundeskreis sein, ein Kreis von Freundinnen und Freunden, die sich gegenseitig, im Praktizieren der Freundlichkeit und des Dharma unterstützen, also eine Freundschaft um des Nutzens Willen.
Und es muss ein Freundeskreis sein, der sich gegenseitig in seiner oder ihrer Unterschiedlichkeit schätzt und sich daher unterstützt, ein Freundeskreis um des Wesens Willen.
Wenn uns das gelingt, dann arbeiten wir im Geiste des Buddha, von Aristoteles und von Sangharakshita.
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