Freude und Begeisterung stimulieren
Vortragsreihe „Meditation“, Teil VII
von Horst Gunkel bei Meditation am Obermarkt, Gelnhausen
zuletzt geändert am 8. Oktober 2019
In
den letzten Wochen habe ich hier über Meditation gesprochen, das werde
ich auch heute tun, jedoch unter einem etwas anderen Blickwinkel. Bei
meinen letzten Vorträgen ging es häufig darum, was wir vermeiden
wollen. Ich habe daher die fünf Gruppen von Meditationshindernissen
vorgestellt und verschiedene Methoden im Umgang mit diesen Hindernissen
erläutert, z. B. die Methode des Blauen Himmels oder beim letzten Mal,
wie man die Quelle aller Meditationshindernisse beseitigt. Wichtig ist
aber natürlich nicht nur, was wir im Zusammenhang mit Meditation
vermeiden wollen, nämlich die Meditationshindernisse, sondern auch das,
was wir in der Meditation kultivieren wollen, was wir erreichen wollen,
worauf hin wir uns zu bewegen wollen, nämlich wirklich tiefe
Meditationen.
Es
gibt eine Anzahl von Meditationsvertiefungen, die unser Fernziel sein
können – je nach Einteilung spricht man von vier bis zehn
Meditationsvertiefungen, die aufeinander aufbauen. Wir brauchen uns die
nicht alle zu betrachten, manche sind derart weit von uns entfernt,
dass wir sie mit nahezu absoluter Sicherheit in diesem Leben nicht
erreichen werden. Man muss diese Vertiefungen nicht einmal alle
erreichen, um Erleuchtung zu erlangen.
Aber
die erste dieser Vertiefungsstufen sollten wir uns ansehen, um
gewissermaßen eine Zielrichtung zu haben, worauf wir in der Meditation
hinarbeiten wollen. Wir werden uns also heute mit dem Fernziel, mit der
ersten meditativen Vertiefung, mit dem sog. 1. Dhyana
beschäftigen.
In
diesem 1. Dhyana sind fünf Faktoren voll entwickelt und über eine ganze
Zeit stabil anwesend. Außerdem sind alle Meditationshindernisse hier überwunden. Was sind das für fünf Faktoren, die im 1. Dhyana stabil anwesend sind? Es sind
• Vitakka (aufnehmende meditative Konzentration)
• Vicara (anhaltende meditative Konzentration)
• Citt´ekagatta (einspitzige Ausrichtung des Geistes)
• Piti (Verzückung) und
• Sukha (Glückseligkeit)
Unter aufnehmender Konzentration versteht man, dass wir den Geist auf das Meditationsobjekt ausrichten. Das wäre in der zweiten Stufe der metta bhavana
also z. B. dadurch erreicht, dass wir vor unserem geistigen Auge das
Bild des guten Freundes oder der guten Freundin entstehen lassen. Unter
anhaltender Konzentration
versteht man, dass wir den Geist durch geeignete Mittel weiter auf den
guten Freund ausgerichtet halten und dabei das Gefühl von metta beibehalten bzw. verstärken. Unter Einspitzigkeit des Geistes versteht man, dass das Meditationsobjekt, in diesem Fall also metta
zum Freund oder der Freundin, ohne jedes andere Gefühl vorhanden ist,
also sowohl ohne einen sog. fernen Feind, so etwas wie das Gegenteil -
ein solcher wäre z. B. das Gefühl von Neid oder Eifersucht – als auch
ohne einen sog. nahen Feind. Nahe Feinde zu metta
sind z. B. Gefühle von sexueller Zuneigung oder Beschützerinstinkt,
daher wird empfohlen, Personen des gleichen Geschlechtes und des etwa
gleichen Alters, zu nehmen, also niemandem, bei dem psychologisch
gesehen das „Kindchen-Schema“ greift.
Heute möchte ich jedoch über die anderen beiden Faktoren, über piti und sukha, über Verzückung und Glück sprechen. Im Titel dieses Vortrages habe ich sie „Freude und Begeisterung“ genannt.
Der
Unterschied zwischen beiden lässt sich an einem Beispiel verdeutlichen:
Wenn wir an einem heißen Tag auf einer anstrengenden Bergwanderung
ziemlich ermüdet, durstig und hungrig sind und um eine Wegbiegung kommen, bei der wir nunmehr eine bewirtschaftete Almhütte sehen, dann entsteht piti.
Wenn wir eine halbe Stunde später noch immer dort bei einer Brotzeit
sitzen, unsere Wanderschuhe ausgezogen haben und soeben die zweite
Halbe Weißbier (natürlich alkoholfreies!) serviert wird, dann ist das sukha.
In diesem Zusammenhang braucht uns der Unterschied zwischen piti und sukha
aber gar nicht näher zu beschäftigen. Beides ist auf jeden Fall sehr
angenehm. Und was kann besser sein, als wenn unsere Meditation angenehm
ist. Ich möchte sogar so weit gehen zu behaupten, wenn unsere
Meditationen nicht angenehm sind, dann kann sehr schnell unser Elan zu
meditieren ermatten. Wenn wir also eine dauerhafte regelmäßige
Meditationspraxis aufbauen wollen, dann ist es nicht nur sinnvoll,
diese beiden Faktoren zu kultivieren, um auf eine meditative Vertiefung
hinzuarbeiten, es ist vielmehr unerlässlich, dass wir diese Faktoren
kultivieren, um uns bei der Stange zu halten, um unsere Begeisterung
für Meditation zu entwickeln, zu kultivieren, uns zu motivieren.
Abgesehen davon ist es natürlich schön zu meditieren und Spaß dabei zu
haben.
Mit anderen Worten, es macht auf jeden Fall Sinn, piti und sukha zu entwickeln, Freude und Begeisterung zu stimulieren. Aber:
Wie geht das? Nun es gibt allgemeine und spezifische Methoden, Gefühle,
Emotionen, zu stimulieren. Sehen wir uns zunächst die allgemeine
Methode an. Jedes Ding hat einen adinava- und einen assada-Aspekt.
Assada ist die reizvolle, die attraktive Qualität, die von etwas
ausgeht, der Zauber, den etwas ausmacht. Adinava hingegen ist der
negative Aspekt eines Phänomens, der niedrige, unheilsame, widerwärtige
Aspekt von etwas.
Ich
will das einmal am Beispiel Militärdienst erläutern. Man kann den
Militärdienst als etwas ansehen, wo sadistische Vorgesetzte Rekruten demütigen
und schleifen, wo jungen Menschen die Hemmung zu töten aberzogen werden
soll. Etwas, was mehr oder weniger zwangsläufig in Massakern, in
Verrohung, in Unmenschlichkeit, in Erniedrigung, in Leid mündet. Ich
habe jetzt den adinava-Aspekt davon erläutert. Wenn eine Armee einen
Werbefilm für den Militärdienst dreht, werden völlig andere Aspekte in
den Vordergrund gestellt. Dort sieht man kräftige junge Männer und
Frauen, die maßvoll und entschlossen bereit sind, unter vollem Einsatz
selbst ihres eigenen Lebens, die Sicherheit der Menschen in einem Land
zu verteidigen. Kameradschaft, Verantwortungsbewusstein, Lagerfeuerromantik
und technisches Können und werden hier im Mittelpunkt stehen und
Kriegsvorbereitung bekommt den Namen "Friedenssicherung".
Und
wenn wir bereit sind die Sache ganz unverblendet zu betrachten, werden
wir feststellen, dass beide Betrachtungsweisen Facetten des Phänomens
„Militärdienst“ darstellen. Wer einen Werbefilm für - sagen wir - die
Bundeswehr drehen will, der wird den assada-Aspekt dieser Sache in den
Vordergrund rücken. Wer einen Anti-Kriegs-Film drehen will, der wird
konsequenterweise den adinava-Aspekt des Militärdienstes in den
Mittelpunkt stellen. Beides ist natürlich gewollt manipulativ.
Wenn
wir uns also motivieren wollen, eine Sache zu betreiben, für die wir
uns auf Grund rationaler Überlegung entschieden habe – und ich rede
jetzt nicht vom Militärdienst, sondern von der Meditation - dann ist es
gut, uns auch emotional so zu stimulieren, dass unser Gefühl, unsere
Emotionalität, diese rationale Entscheidung unterstützt und nicht
konterkariert.
Wenn
ich mich also zur Meditation mit der Einstellung begebe, jetzt käme
eine lästige Pflicht, in der ich einmal wieder mit Müdigkeit und
Schlappheit zu kämpfen habe, in der mein Geist beständig abgelenkt umherschweift,
in der mir die Knochen wehtun werden und in der ich meine Zeit
vergeude, die ich so nötig für etwas anderes bräuchte, dann aktiviere
ich den adinava-Aspekt und dann wird diese Meditation eine Quälerei
werden.
Wenn
ich mich aber auf meine Meditationsplatz begebe mit der Erinnerung an
erfreuliche Meditationserlebnisse, mit freudiger Neugier, was diese
Meditation denn heute für mich bereithalten wird, da ich mit frischen
Anfängergeist gespannt hineingehen werde. Wenn ich mich freue, dass
mein Geist endlich in Ruhe entspannen kann und nicht tausend andere
Dinge tun muss. Wenn ich meine Meditationshaltung so aufbaue, dass ich
weiß, so sitze ich gut, angenehm, ruhig. Wenn ich mein ganzes
Meditationsumfeld, den Platz, an dem ich meditiere hübsch ausgeschmückt
habe, zum Beispiel mit einer Figur, die mich inspiriert, dazu eine
hübsche Kerze oder ein angenehm duftendes Räucherstäbchen angezündet
habe und meinen Schrein zuvor mit frischen Blumen geschmückt habe, dann
bemühe ich mich um den assada-Aspekt. Also: schaffe die Bedingungen,
dass deine Meditation von erfolgt gekrönt sein wird. Genau das heißt
das Wort bhavana: Bedingungen schaffen, damit etwas entstehen kann. Also bezogen auf piti und sukha:
schaffe die Bedingungen, dass Freude und Begeisterung entstehen können,
oder um den Titel meines Vortrages zu verwenden: stimuliere Freude und
Begeisterung.
Sehen wir uns das jetzt noch einmal spezifisch bezüglich unserer beiden Meditationstechniken an, zunächst hinsichtlich der metta bhavana. Entwickle in der ersten Phase metta
für dich selbst. Die meisten Menschen mögen sich selbst. Alle Menschen
mögen zumindest einige Aspekte ihres Selbst. Stelle diese Aspekte in
den Vordergrund. Stelle dir eine Situation vor, in der du rundum
glücklich und zufrieden bist. Um das zu erreichen, musst du vielleicht
anfangs etwas experimentieren. Tue alles, um in diesem Glück zu
schwelgen, um dich selbst anzunehmen, um dir selbst Gutes zu tun.
Bei der zweiten Phase der metta bhavana
genügt oft schon die Vorstellung des Bildes deines guten Freundes bzw.
der guten Freundin, nimm dir jedoch auch hier die Freiheit, alles zu
machen, was das Gefühl von metta
bezüglich dieser Person verstärkt. Baue in den weiteren Phasen auf
diesem bereits entwickelten Gefühl auf. Es kommt nicht darauf an, etwas
über dieses Person zu denken, es kommt einzig und allein darauf an, die
Emotion für metta für diese
Wesen aufzubauen. Und alle Wesen sind dir da ähnlich, denn alle wollen
frei von Leiden sein und nach Glück streben. Bei der metta bhavana
ist es eigentlich selbstverständlich, dass wir uns emotional ausrichten
sollen, denn genau das sagt ja der deutsche Terminus, den ich für metta bhavana verwende: Entfaltung positiver Emotion.
Doch wie soll die Stimulation von Freude und Begeisterung bei der Vergegenwärtigung des Atems gehen?
Nun
auch der Atem hat seinen adinava- und seinen assada-Aspekt und damit
kannst du arbeiten. Der Atem erscheint für die meisten von uns ziemlich
unspektakulär – und ist doch so entscheidend. Wenn ich in beispielsweise der Schule
ganz am Anfang des Wirtschaftslehreunterrichtes die menschlichen
Bedürfnisse abfrage, dann werden von den Schülerinnen und Schüler
regelmäßig fast alle wichtigen Bedürfnisse genannt, meist allen voran
Essen und Trinken, dann Kleidung, manchmal Musik oder ein Auto, nach
einiger Zeit werden auch Liebe, Zärtlichkeit und Sexualität genannt.
Merkwürdigerweise wird fast immer das Atmen vergessen. Ich habe es
mitunter so gemacht, dass ich eine Person direkt gefragt habe, was noch
ganz, ganz wichtig sei. Häufig wurden dann die merkwürdigsten Dinge
genannt. Wenn ich dann aber dem Schüler oder der Schülerin Mund und
Nase zugehalten habe – was natürlich streng verboten ist, aber sehr
lehrreich – und gefragt habe, ob es nicht noch ein ziemlich wichtiges
Bedürfnis gäbe, dann fielen diesen plötzlich das Atmen ein. Atmen ist uns so selbstverständlich, dass seine Wichtigkeit gerne vergessen wird.
Es
ist natürlich unser wichtigstes Bedürfnis überhaupt, aber häufig werden
wir dieser Kostbarkeit des unbeschwerten Atmens erst dann bewusst, wenn
es gerade einmal nicht perfekt zugänglich ist, wenn wir erkältet sind
zum Beispiel. Ich habe früher sehr stark an Heuschnupfen gelitten, der
sich auch auf die Bronchien legte und zu asthmaartigen Erscheinungen
führte, was mit die Kostbarkeit des Atmens deutlich gemacht hat,
besonders dann, wenn ich wieder einmal nur im Sitzen einschlafen
konnte, weil ich sonst keine Luft bekam. Oder zweitens: in der
indischen Hauptstadt Delhi vermochte ich keine 15 Minuten außerhalb
klimatisierter Räume zu sein, ohne dass ich starke Kopfschmerzen wegen
der miserablen Luft in der Stadt bekam. Und drittens: ich kann mich
noch deutlich erinnern, wie mein Vater im Stadium des fortgeschrittenen
Kehlkopfkrebses kurz vor seinem Tod um Luft gerungen hat. Wenn wir uns
also des adinava-Aspektes des Atmens gewusst sind, haben wir eigentlich
eine gute Grundlage, den assadaAspekt des Atmens zu genießen.
Diese
herrliche nahezu völlig unbelastete Luft in Deutschland, dieses
köstlichste und wichtigste aller Lebensmittel, das uns da in Hülle und
Fülle von der Natur völlig kostenlos zur Verfügung gestellt wird und
dessen fast grenzenlosen Reichtum wir hier und jetzt genießen dürfen.
Die Tatsache, dass unser Atemwege frei sind, dass unser Körper
wunderbarerweise völlig mühelos für uns durch die einfache Bewegung des
Zwerchfelles dieses herrliche Lebenselixir pausenlos in uns hineinpumpt
und die Tatsache, dass die Abgabe unserer Stoffwechselabfallprodukte
Kohlendioxid so völlig problemlos und zudem noch kostenlos funktioniert
und noch dazu viel hygienischer abläuft als die Ausscheidung unserer
übrigen Stoffwechselprodukte.
Oh herrlicher Atem, oh unbeschwerte Lebensfreude am Nehmen und Geben
von Luft. Danke, Natur, für diesen Reichtum! Möge ich meine Gesundheit
erhalten, um diesen wunderbaren Prozess noch lange genussvoll
beobachten zu können. Danke Pflanzen für dieses Geschenk des
Sauerstoffes, danke Mitmenschen und Staat, dass die Luft noch nicht
privatisiert ist, sondern uns allen in so vorzüglicher Qualität zur
Verfügung steht. Danke Zwerchfell, danke Lunge, ich werde alles tun um
euch gesund zu erhalten, auf dass ich dieses Glückes noch lange
teilhaftig werde, des gesegneten Atemprozesses, für dessen
Funktionieren ich mich immer von neuen dankbar begeistern kann.
Auf
diese Art eben kann man Freude und Begeisterung für die
Atembetrachtung, für die Beobachtung dieses wunderbar subtilen und
ebenso bedeutungsvollen Aktes unserer Lebenserhaltung stimulieren.
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