Gelnhäuser Neue Zeitung vom 24. Oktober, Seite 21
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Zu Fuß nach Indien
Horst Gunkel pilgert seit 2011 in Etappen zum 
"Ort der Erleuchtung"

Ein Drittel der zwölftausen Kilometer ist geschafft.
Von Matthias Boll
G e l n h a u s e n . Sein Santiago de Compostela heißt Bodhgaya. Wäre sein Ziel der Wallfahrtsort im Nordwesten Spaniens, er hätte es längst erreicht - sogar zweimal. Aber warum sollte ein Buddhist zu einer christlichen Pilgerstätte wandern? So liegt das Ziel von Horst Gunkel (64) noch in weiter Ferne. Obwohl er seit 2011 an insgesamt 183 Tagen bereits mehr als viertausend Kilometer zu Fuß zurückgelegt hat, ist erst ein Drittel des Weges geschafft. Weitere achttausend Kilometer hat der Gelnhäuser noch vor sich, bis er am „Ort der Erleuchtung" im Norden Indiens ankommt. Entmutigen lässt er sich davon keineswegs, denn eines steht für ihn fest: Der Weg ist das Ziel.

Horst Gunkel gehört seit 1996 der Buddhistischen Gemeinde Triratna an. Den Weg dorthin ebnete ihm ein Zufall. Es war Anfang der 90er Jahre, als er nach dem Ende seiner Ehe in einer Krise steckte und nach etwas Spirituellem suchte. Fündig wurde er im Religionsraum der Beruflichen Schulen in Gelnhausen. Beim Vertretungsunterricht fiel ihm dort zufällig ein Buch über die großen, nicht-christlichen Religionen in die Hände. Und nachdem er die ersten zwei Seiten über den Buddhismus gelesen hatte, wusste er: “Das ist das, wonach ich gesucht habe.”

Der Buddhismus ist für Gunkel, der seit 2009 die buddhistisch ausgerichtete "Meditation am Obermarkt" leitet, handfest, logisch und nachvollziehbar - und er hatte unmittelbare Folgen für sein damaliges Leben. Gunkel gehörte zu dieser Zeit dem Kreisausschuss des Main-Kinzig-Kreises an und war außerdem Fraktionsvorsitzender in der Regionalversammlung Südhessen.

In seinem politischen Engagement habe er sich stets an das christliche Gebot der Wahrheit gehalten, erklärt er. “Der Buddhismus verlangt aber nicht nur die wahrheitsgemäße, sondern auch die freundliche und harmonieförderne Rede. Da wusste ich, dass ich die Politik aufgeben muss.” Also legte er 1995 alle politischen Ämter nieder, um sich ganz dem Buddhismus zu widmen.

Ein  Hinweis auf dem Obermarkt

Im Mittelpunkt der Lehre steht das Bekenntnis zu Buddha mit Körper, Rede und Geist. “Die geistige Zufluchtnahme ist die Ausrichtung des Denkens an der Wahrheit, die Buddha verkündet hat. Die Rede beinhaltet die Verbreitung der Lehre. Und drittens soll auch noch mit dein Körper Zuflucht genommen werden, indem beispielsweise eine körperliche Übung in eine Meditation eingebunden wird”, erläutert Gunkel. Und genau darin lag bei ihm das Problem: Viermal wöchentlich 144 „Niederwerfungen" machten seine beiden Knie irgendwann nicht mehr mit. Da er sich auch seine Gesundheit nicht ruinieren wollte, stand er Ende 2010 vor der Frage, was er stattdessen körperlich machen könne.

Die Antwort lieferte ein Hinweisschild auf dem Obermarkt, das eine symbolisierte Jakobsmuschel in gelber Farbe auf blauem Grund zeigt: die Markierung für den Jakobsweg. “Könnte das nicht etwas für mich sein?”, habe er sich gefragt. In diesem Gedanken bestärkt wurde er durch den Wanderbericht ‚Heiter weiter' von Michael Heininger, den er kurz zuvor gelesen hatte. Der Gelnhäuser war zu Fuß von der Barbarossastadt nach Santiago de Compostela gepilgert. Nur mit dem Ziel der Reise konnte sich der Berufsschullehrer nicht anfreunden. „Denn ich will mich ja auf etwas zubewegen, das mich inspiriert”, erklärt Gunkel. “Und was schien da geeignter als Bodhgaya, der Ort, an dem Buddha erleuchtet wurde." Dabei sei es nicht das Entscheidende, an diesem Ort anzukommen. Schließlich könne er sich dafür auch einfach in ein Flugzeug setzen. Das eigentliche Ziel sei der Weg dorthin. „Das Inspirierende daran ist, dass ich mich in Richtung Erleuchtung bewege."

Anfang Januar 2011 machte er sich daran, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die entscheidende Frage dabei war, ob die Knie und auch die Achillessehnen, die zuletzt ebenfalls Probleme gemacht hatten, der körperlichen Belastung standhalten würden. Das taten sie, wie sich nach dem ersten Wochenende auf Pilgerwanderung herausstellte.

42 Grad heißer Asphalt

Seine erste Tour führte den 64-jährigen von Gelnhausen nach Schöllkrippen. Nachdem er die knapp 20 Kilometer ge laufen war, setzte er sich in den Zug und fuhr zurück nach Hause. Am nächsten Tag fuhr er mit dem Auto nach Schöllkrippen, um dort seine Reise fortzusetzen, wo sie am Vortag geendet hatte. Ziel der zweiten Tagesetappe war Aschaffenburg. Dort angekommen, ging es mit der Bahn zurück zu seinem Auto in Schöllkrippen und von dort wieder in die Barbarossastadt.

Am Wochenende 14 Tage später folgten die Etappen drei bis fünf mit den Zielen Klingenbarg, Miltenberg und Wertheim. Weitere Stationen in den folgenden Wochen waren Tauberbischofsheim, Lauda-Königshofen, Weikersheim, Creglingen und Rothenburg ob der Tauber. Dann musste der Berufsschullehrer eine Zwangspause einlegen, da die Entfernungen zu weit für Wochenendausflüge wurden. In den Osterferien setzte er seine Pilgerreise fort und kam bis nach Garmisch- Partenkirchen. Von dort aus startete er dann in den Sommerferien über die Alpen und über Innsbruck bis nach Ljubljana. Insgesamt 1218 Kilometer standen am Ende ersten Pllgerjahres unter dem Strich.

In den Osterferien und den Sommerferien 2012 setzte er seine Pilgerwanderung durch Slovenien, Kroatien und Serbien bis zum Drei-Ländereck Rumänien - Bulgarien - Serbien fort. Ein normaler Reisetag begann im Sommer um 7 Uhr und endete am frühen Nachmittag. Dann suchte Gunkel zunächst eine Gastwirtschaft, in der er erst einmal einen Liter Wasser mit Eis bestellte. Danach gimg es zum nächsten Bahnhof, um von dort aus zu seiner Unterkunft für die Nacht zu reisen. “Man braucht eine Dusche um Bett”,  sagt Gunkel. Wie sehr, das merkte er während Etappe ab Belgrad, die sich als äußerst schwierig gestaltete.

Aufgrund der schlechten  Zugverbindüngen zwischen den einzelnen Übernachtungsmöglichkeiten zog er kurzerhand zwei Wochen mit Schlafsack, Zelt und Isomatte durchs Land – und sehnte sich nach einer Dusche und einem Bett. Darüber hinaus hatten seine Schlafutensilien, die er mit sich führte noch ein zusätzliches Gewicht von 14 Kilo – und das in dem heißesten Sommer seit 50 Jahren. “Der Asfalt hatte 42 Grad”, berichtete Gunkel. “Das war schon ziemlich anstrengend.” Aber auch dieses Abenteuer überstand er, und am Ende des Jahres 2012 hatte er insgesamt 2174 Kilometer zu Fuß zurückgelegt.

Der Verlust eines USB-Sticks

Das Balkangebirge, Sofia, Plovdiv und Edirne hießen die Eckpunkte der Pilgerreise in den Sommerferien 2013. Denn aufgrund der großen Entfernung schieden inzwischen auch die Osterferien als Reisetermin aus. In Bulgarien machte Gunkel seine einzig wirkliche Negativerfahrung. Als er nach seiner Wanderung an seinem Auto ankam, war die Scheibe eingeschlagen. Was fehlte? Ein USB-Stick. Der Schaden am Auto: 2000 Euro. Eine Woche später die nächste Schrecksekunde. Nach absolvierter Strecke stand das Auto nicht mehr dort, wo er es zuvor abgestellt hatte. Der vermeintliche Diebstahl entpuppte sich jedoch als Missverständnis. Anwohner hatten das unbekannte Auto mit der eingeschlagenen Scheibe der Polizei gemeldet, da sie davon ausgegangen waren, dass es geklaut war. Die Beamten hatten den Wagen daraufhin abgeschleppt.

Ohnehin ist Gunkel beeindruckt von der Hilfsbereitschaft, der Wärme und dem Mitgefühl der Menschen, denen er auf seiner Pilgerreise begegnet. “Die Leute sehen einen Mann, der zu Fuß unterwegs ist und nur einen Rucksack bei sich trägt. In Kroatien hat mir zum Beispiel ein Wirt eine Cola spendiert. Ich habe mich herzlich bedankt. So eine Geste kann man nicht zurückweisen, indem ich selbst bezahle, davon hat er mehr als die 50 Cent, die das Getränk kostet.”

In den Sommerferien 2014 nahm Gunkel seine Wanderung im türkischen Babaeski bei Kilometer 2804 wieder auf. Quer durch die Türkei führte ihn seine Reise bis nach Amasra. Dort bei Kilometer 2485 setzte er seine Tour in den Sommerferien 2015 fort. Bis nach Tirbolu, der Hafenstadt am Schwarzen Meer, schaffte er es. Insgesamt hat er bislang 4211 Kilometer zurückgelegt – und weitere 8000 km liegen noch vor ihm. Und lohnen sich die Strapazen? Ja, auf jeden Fall, sagt Gunkel. “Das Pilgern gibt mir ein Hochgefühl, eine innere Eksatase, die zuletzt noch fast zwei Wochen angehalten hat.”

Reisebericht mit 900 Seiten

Seine Erfahrungen und Erlebnisse, die er auf der Pilgerreise macht, tippt er täglich nach gelaufener Strecke in sein Tablet ein. Bislang umfasst sein Reisebericht mehr als 900 Seiten – und es ist ja erst ein Drittel des Weges geschafft.

In den nächsten Sommerferien geht´s weiter. Dann stehen die letzten 300 km durch die Türkei in Richtung Georgien an. Am 31. Januar 2017 geht der Lehrer in den Ruhestand. Dann wird er auch mehr Zeit haben, längere Etappen am Stück zu laufen. Welchen Weg er dann einschlägt, hängt vor allem von der weltpolitischen Lage an. Ungern würde er dem selbsternannten Kalifen des Islamischen Staats über den Weg laufen, Umwege muss er deshalb in Kauf nehmen. “Ich strebe keinen Märtyrertod an”, sagt Gunkel mit einem Augenzwinkern.



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